Montag, Oktober 24, 2005

these zur wahl(beteiligung) in wien

gerfried sperl schreibt in seiner wahl-analyse im "Standard" auf Seite 26 folgendes zur (relativ) niedrigen Wahlbeteiligung von ca. 60 Prozent: "Erschütternd ist die Wahlbeteiligung. Die Nichtwähler sind mit weit über dreißig Prozent gestärkt aus dieser Wahl hervorgegangen und repräsentieren jenen Frust, den die Politik tagtäglich verursacht."

ich halte diese analyse für - gelinde gesagt - unhaltbar. nun gefällt es mir zwar überhaupt nicht, dass so viele menschen leichtfertig auf ein recht verzichten, für dessen erkämpfung unzählige ihr leben gelassen haben. ihnen allen aber "frust über die tagtägliche politik" als gemeinsam-einziges motiv zu unterstellen, ist im allgemeinen und bei dieser wahl im speziellen völlig verfehlt.

provokant und etwas übertrieben zugespitzt würde ich sogar behaupten: die wahlbeteiligung am gestrigen sonntag ist eine folge fortgeschrittener mündigkeit und politischen reflexivität großer teile der wiener bevölkerung.
gegenbeispiel: die wahlbeteiligung ist traditionell in den kleinen landgemeinden mit großer sozialer kontrolle und den seit 100 jahren immer gleichen wahlergebnissen am höchsten. ich glaube nicht, dass diese gemeinden große politische reflexivität und mündigkeit verkörpern. ebenso ist die wahlbeteiligung immer dann am höchsten, wenn "es um etwas geht", d.h. großer veränderungsbedarf oder große weltanschauliche verwerfungen bestehen. in wien war gestern das ergebnis erstens klar und keine partei wollte ernsthat etwas am wiener erfolgsmodell ändern. (das ist vielleicht auch ein fehler, nach der alten regel "success breeds failure", aber das würde hier zu weit führen.) auch folgte aus befragungen von nichtwählerInnen in oberösterreich, dass es meist gerade nicht die frustrierten sind, die auf ihr wahlrecht verzichten, sondern mit der politik im großen und ganzen zufriedene.

fazit: nichtwählerInnentum mag ein zeichen dafür sein, dass menschen generell viele rechte erst dann schätzen und wahrnehmen, wenn sie bedroht sind. das ist natürlich nicht besonders "leiwand". auf die wiener wahl umgelegt könnte das aber auch bedeuten: es sahen einfach die menschen ihre rechte ganz allgemein nicht bedroht. die nichtwählerInnen aber zur gänze ins lager der frustrierten zu verweisen, ist mit sicherheit einfach "bullshit".

Sonntag, Oktober 23, 2005

brechmittel des tages: "Der Spiegel"

dass sich "Der Spiegel" weltanschaulich spätestens mit ableben des gründers Rudolf Augstein hin zu einer neoliberal-bizarren "reformorientierung" verändert hat, ist ebenso ein faktum wie die immer schlechtere journalistische qualität der artikel (der wöchentliche vergleich mit "Der Zeit" macht sicher).

mit der aktuellen ausgabe ist aber ein neuer tiefpunkt erreicht. in deutschland ist es gerade journalistInnen-sport "Hartz VI"-empfängerInnen möglichst pauschal als abzocker und parasiten zu diffamieren.

wer jetzt von einem "sturmgeschütz der demokratie" (Augstein) erwartet, dass es diese propaganda zurechtstutzt, der irrt. im gegenteil, "Der Spiegel" versucht scheinbar in seiner ausgabe nr. 43 die aktuelle "Bild"-kampagne für bildungsbürgerInnen umzusetzen und präsentiert am cover einen Hartz-VI-wurlitzer der auf knopfdruck geld aus zahlreichen leistungen liefert, die alle auf ein zentrales feld mit der aufschrift "Täuschen & Mogeln" verweisen. im heft werden dann auch pflichtschuldig die "tricks der üblen Hartz-IV-Schmarotzer" ("Bild") aufgedeckt. als hätte jemand die "Bild"-schlagzeilen zum thema noch mit einer rahmenstory versehen wollen.

Montag, Oktober 17, 2005

kapitalistische praxis II

diesmal: kapitalistische propaganda

Freitag, Oktober 14, 2005

beginn einer serie: kapitalistische praxis

die serie "kapitalistische praxis" soll sich mit bizarr-banalem aus der, den kapitalismus in den industriellen überflussgesellschaften konstitutierenden, waren- und konsumwelt beschäftigen. und zwar völlig eingedenk dessen, dass jeder beitrag für sich genommen ausdruck der dekadenz des autors/systems ist. diesmal (aus gegebenem anlass): deutsche handy-tarife. mein versuch in berlin einen handy-vertrag abzuschließen endete mit befremdlicher verzweiflung und fassungslosigkeit: trotz universitätsabschluss und langjähriger erfahrung in kapitalistisch-konsumatorischer praxis war es mir unmöglich, aus den vorhandenen prospekten nur ansatzweise die für mich - im falle eines vertragsabschlusses - anfallenden kosten auch nur zu erahnen. meinen ersten versuch bei O2 brach ich an dem punkt ab, als ich auf über einer halben A4-seite in kleinstmöglicher schrift fußnoten von 1 bis ca. 100 mit ergänzungen zu den jeweiligen tarifen nicht entziffern konnte. (wer sich einen kleinen eindruck vom fußnoten-wahnsinn verschaffen möchte, besuche obigen O2-link und scrolle bis zum ende der seite - egal wie groß der bildschirm ist, die fußnoten werden den ganzen bildschirm ausfüllen.) mein zweiter versuch - mit hilfe eines im umgang mit verzweifelten kunden scheinbar erfahrenen verkäufers/universitätsprofessors - bei vodafone brachte da schon mehr klarheit, insbesondere über eine traurige tatsache: österreich ist zumindest in einem bereich noch die insel der seligen, und wenn es nur im bereich des mobilfunks ist. bei vodafone kunde/in werden darf nämlich nur, wer sich für 24 monate bindet. wer glaubt, 50 freiminuten wären klar und deutlich, der/die irrt: die gelten nur ins eigene und ins festnetz. aber "dafür" bekommt man noch 20 minuten mit einer zweiten sim-karte (und damit auch zweiten rufnummer). wer jetzt glaubt, er/sie könne einfach auf diese zweite karte verzichten, weil er/sie diese nicht brauche, der/die irrt schon wieder: man muss sie nehmen und sie will nach 24 monaten auch separat gekündigt werden, sonst läuft der vertrag für diese zweite nummer weiter. wer will, dass die 50 "frei"minuten auch in andere netze gelten, der zahle 5 euro auf die grundgebühr auf und so weiter, fußnote auf fußnote... fazit meiner kleinen (noch nicht abgeschlossenen) qualitativen deutschen handymarkt-studie: ich werde mir ein wertkartenhandy zulegen, hier lassen sich die tarife wenigstens etwas leichter vergleichen.