„In Anführungszeichen“ gliedert sich in zwei teile, einen längeren und lesenswerten ersten teil über „Lautes Leid. Das Opferideal des moralischen Prekariats“ sowie einen kürzeren und eher enttäuschenden zweiten teil über „Narziss als Gott und Dämon der Political Correctness.“
es lässt sich nur darüber spekulieren, wie sehr die beiden autoren beim schreiben arbeitsteilig vorgegangen sind und wer bei welchem teil den lead übernommen hat. klar ist jedenfalls, dass sich die beiden teile nicht nur thematisch und stilistisch unterscheiden, sondern auch in der haltung, die dem gegenstand „Political Correctness“ (PC) gegenüber eingenommen wird.
im ersten teil wird das titelgebende versprechen eingelöst, sowohl glanz als auch elend von PC zu beleuchten. PC und deren kritik beginnt für Edlinger und Dusini erst jenseits von gerichtlich einklagbaren rechten als „soziale[s] und psychosoziale[s] Sprachspiel“ s. 48). nach einer kurzen geschichte des aufkommens von PC und PC-kritik in Europa wagen sich die autoren an die großen PC-themen: antisemitismus, islamkritik, sexismus.
differenziert behandeln sie dabei den PC-dauerbrenner „Kopftücher, Sluts und Burkas“ (s. 116 ff.), der gerade erst thema heftiger internet-debatten rund um die geburtstagsfeier des blogs Mädchenmannschaft war (vgl. auslöser, reaktion und reflektion). Edlinger und Dusini:
„Das Provokationspotential beider Selbstdarstellungsformen ist unbestritten. Sowohl die Entblößung als auch die Verhüllung, die ‚Slut’ und die Burkaträgerin, sind Projektionsflächen von kulturalistischen und sexistischen Ressentiments.“beide fälle, die freiwillig getragene burka wie die seit 2011 stattfindenden „Slutwalks“ sind ihnen zu folge einer narzisstischen gesellschaft geschuldet, „in der man sich zwar auch beherrschen, aber eben zugleich ausdrücken können soll – und muss.“
im zweiten teil hingegen, der ebendiesen narzissmus fokussiert, ändert sich der tonfall des buchs, es dominiert mehr und mehr spöttische PC-kritik, die es sich – ganz anders als im ersten teil – relativ einfach macht und dadurch langweilig wird. zu oft wurden „die 68er“ schon für ihre antiautoritären erziehungsexperimente gescholten, zu sehr arbeiten sich die autoren an elitären zirkeln des kulturbetriebs ab. ärgerlich auch, wenn salopp auf basis aggregierter indikatoren (zunahme von privatem konsum und gehältern sowie der sozialquote) behauptet wird, die soziale mobilität sei größer geworden und damit ängste vor „Ausgrenzung, Deklassierung und Diskriminierung“ als bloß eingebildet weggewischt werden (s. 218). den autoren sei in diesem zusammenhang einerseits Michael Hartmanns „Mythos der Leistungseliten“ und andererseits ein blick nicht nur auf aggregate sondern auf verteilung empfohlen.
versöhnlicher dafür wieder der letzte absatz, in dem „[d]er knarzende Ausdruck der politischen Korrektheit“ als „Begriffskrücke für eine Tugend ohne Gott“ erkannt wird, bevor es im schlusssatz hoffnungsvoll heißt:
„Wenn alles gutgeht, dann folgt auf Narziss der Kommunismus der Achtung: ein säkulärer Narzissmus, der kein göttliches Selbst mehr braucht.“
PS: Oskar Piegsa hat eine treffende und etwas detailliertere Rezension des Buchs auf Spiegel Online veröffentlicht.
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