vor allem im ersten kapitel wird das internet - wohl als durchaus bewusst gewähltes stilmittel - zum akteur gemacht ("Das Netz will alles lernen über diese Welt," S. 8) und apodiktisch wird der verlust von privatsphäre als unumkehrbar und unaufhaltbar dargestellt ("Die Kämpfe um Datenschutz und Privatsphäre sind Rückzugsgefechte," S. 24). das alles kommt viel krawalliger und plumper daher, als der differenzierte und nachdenkliche zweite teil des bands.
vielleicht liegt der schleppende start aber auch daran, dass in der ersten hälfte des buches viel erklärt und eingeführt wird, das - abgesehen von der informativen "Kleine[n] Geschichte des Privaten" in kapitel 2 - netzaffinen leser/innen schon bekannt sein dürfte.
so richtig los geht es ab seite 74, wo Heller beginnt, das deutsche datenschutzverständnis gegen den strich zu bürsten. gefallen hat mir beispielsweise die these, dass erst ein "Vollzugsdefizit" die bestehenden datenschutzregelungen erträglich macht:
"Würde der deutsche Datenschutz vollends verwirklicht, das Internet wäre nicht wiederzuerkennen."hier sehe ich ich viele parallelen zum urheberrecht, das im internet auch nur deshalb halbwegs erträglich ist, weil alltägliche urheberrechtsverletzungen auf blogs, facebook etc. nicht effektiv verfolgt werden. auch die darauffolgenden ausführungen zu "Informationsmacht" rund um panopticons und Orwells 1984 sind lesenswert, wobei bisweilen das datenschutz-kind mit der transparenz-wanne ausgeschüttet wird. denn auch wenn es beim mitbestimmungssystem liquid feedback der piratenpartei (vgl. einen aufsatz von Yussi Pick und mir dazu) "einen fließenden Übergang zwischen den Einflussmöglichkeiten des kleinen Parteimitglieds […] und denen des gewählten Funktionärs" gibt, dann bedeutet das deshalb nicht, dass sich die frage "wo soll da Datenschutz aufhören und Transparenz anfangen?" nicht beantworten lässt. genau genommen, gibt Heller die antwort auf derselben seite 118, wenn er schreibt:
"So ist jede Entscheidung, was überwacht gehört und was in Ruhe gelassen, eine politische."genau so ist es. und deshalb ist die frage, wo die grenze zwischen "kleinem parteimitglied" und "gewähltem funktionär" mit entsprechend unterschiedlichen transparenzanforderungen zu ziehen ist, eben eine, die es im rahmen eines politischen prozesses zu diskutieren und letztlich zu entscheiden gilt. das mag bis zu einem gewissen grad willkürlich und immer leicht umstritten sein, so verhält es sich aber auch mit allen anderen demokratischen institutionen und grenzziehungen (vgl. z.b. die 5-prozent-hürde). Heller aber möchte diese politische entscheidung vermeiden und schreibt, dass "[d]ie Transparente Gesellschaft dieses Vorsortieren verweigert." das scheint mir aber bis zu einem gewissen grad ahistorisch zu sein: wir kämpfen immer und überall mit "vorsortierungen". daran ändert auch das internet nichts.
neu und interessant wiederum waren für mich überlegungen zur DDR als "Nischengesellschaft" (S. 122): "Der Freiheit der Nische stand die Unfreiheit des öffentlichen Raums gegenüber; das Regime lockerte die Zügel eben nicht allgemein, sondern nur gegenüber den Inseln des Privaten." Heller zu folge hatte also die kleine freiheit im privaten eine regimestabilisierende wirkung. umgekehrt war es gerade die öffentliche politisierung des privaten, die im rahmen der sexuellen revolution sowie der LGBT-bewegung zu mehr freiheiten geführt hat.
in diesem letzten drittel des buches finden sich viele kluge überlegungen, u.a. zu post-privacy als gegengift zur illusion übertriebener selbstbestimmtheit (S. 146ff.) oder zu den chancen stärkerer sicht- und (auch: algorithmischer) auffindbarkeit für neue formen solidarischen handelns. hier anerkennt Heller auch, dass "[d]ie Post-Privacy, die es uns erlaubt, einander zu finden, nicht total sein [muss]." (S. 132):
"Das Ergebnis lässt sich trotzdem als Post-Privacy beschreiben: Vieles, was vorher nur in finsteren Gassen verstohlen gemunkelt wurde, wird nun - unter Pseudonym oder gar anonym - sorglos in öffentliche Foren getragen. […] Einerseits ein demonstratives Versteckspiel - andererseits ein offensiver Schritt ins Öffentliche."an diesem punkt von im ausblick angesprochenen "Techniken der Privatsphäre", worunter neben pseudonymen auch persönlicher gebrauch von verschlüsselungstechnologien fällt, scheint ein weiterdenken besonders angesichts von PRISM & co lohnenswert. so schreibt Heller bereits lange vor Edward Snowdens enthüllungen (S. 156): "Autoritäre Staaten machen ohnehin, was sie wollen, und liberale Staaten geben zumindest ihren Geheimdiensten Narrenfreiheit."
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