Dienstag, Januar 21, 2025

Doctorow's "the lost cause"


Der Titel von Doctorows "The Lost Cause" ist außerhalb von den USA nicht sofort verständlich. Er bezieht sich auf eine geschichtsrevisionistische Erzählung des US-Bürgerkriegs, wonach die Südstaaten redliche Motive für ihre Loslösung von der Union jenseits der Aufrechterhaltung eines auf Sklaverei und Rassentrennung basierenden Wirtschaftssystems hatten. Diente die Lost-Cause-Erzählung anfänglich vor allem der Zeichnung eines heroischen Bildes der Sezession, erlebte sie in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts einen neuerlichen Aufschwung in Reaktion zur US-Bürgerrechtsbewegung. 

All das setzt Doctorow als bekannt voraus, wenn er in seinem Buch die nahe Zukunft in einer von Erderhitzung geprägten USA im Jahr 2050 beschreibt. Das Buch spielt im kalifornischen Burbank, wo Doctorow selbst lebt und wird den Genres "Solarpunk" oder "Hopepunk" zugeordnet. Eine durchaus passende Einordnung: denn so schonungslos realistisch die Beschreibung einer Welt, die das 2-Grad-Ziel in Sachen Erderhitzung klar verpasst hat, so sehr schafft es das Buch dennoch, Leben in dieser Welt als hoffnungs- und sinnvoll zu zeichnen.

In den ganzen USA gibt es 2050 große Binnenfluchtbewegungen, verlassen die Menschen Küstenstädte und fliehen vor dem steigenden Meerespiegel ins Landesinnere. Extremwetterereignisse stehen an der Tagesordnung und die meiste Zeit über ist Burbank im Roman in dichte Rauchwolken von riesigen Feuersbrünsten gehüllt. Umgang mit und Kampf gegen die Folgen der Erderhitzung prägen den Alltag der Menschen. 

Und trotzdem blicken die tendenziell jüngeren Protagnist:innen des Bands optimistischer in die Zukunft, als heute: “The first generation in a century that doesn’t fear the future!” ist ihre Selbstbeschreibung. Wesentlich dafür ist der unter der progressiven Präsidentin Uwayni verabschiedete Green New Deal. Seither wird erstmals angemessen auf die Herausforderung der Erderhitzung reagiert, wie beispielsweise über ein Job-Garantie-Programm mit Fokus auf Eindämmungs- und Anpassungsmaßnahmen.

Gleichzeitig ist der Green New Deal kein Selbstläufer. Und genau darauf nimmt der Titel des Buchs Bezug: auch wenn sich die Realität des Klimawandels nicht mehr leugnen lässt, gibt es immer noch im ganzen Land Leute, die mit roten “Make America Great Again”-Mützen und inzwischen verbotenen Sturmgewehren gegen die Programme kämpfen. 

Das ist ein der ersten, zentralen Botschaften der Geschichte: Selbst wenn es gelingen sollte, bei Wahlen und Gesetzgebung erfolgreich zu sein, ist damit der Kampf nicht zu Ende. Fortschritt ist nur mit kontinuierlichem Engagement auf allen Ebenen möglich. Gleich zu Beginn wird das in mit einer Auseinandersetzung über die Vergabe von Job-Garantie-Geldern im Lokalparlament von Burbank illustriert.

Denn welche Jobs aus dem Job-Garantie-Programm finanziert werden, muss letztlich immer vor Ort entschieden werden. Und so bemühen sich lokale Initiativen und Vereine darum, Jobs aus diesem Programm finanziert zu bekommen. Gegner des Green New Deal gründen daraufhin Vereine, die vorgeblich Community Organizing betreiben, tatsächlich aber mit Green-New-Deal-Geld ihren Widerstand gegen ebendiesen Green New Deal finanzieren wollen. 

Was das Buch aber vor allem ausmacht, ist weniger die Geschichte - im Wesentlichen geht es um ein Guerilla-Wohnbauprojekt, bei der ein altes Einfamilien- durch ein mehrstöckiges Wohnhaus ersetzt wird - als der sich durchziehende Vibe:

  • Die Fluchtbewegungen werden als Chance zur Erneuerung und Belebung von Städten, insbesondere auch der Überwindung von überkommenen Urbanitätskonzepten gezeichnet (Stichwort: “Suburbia”).
  • Immer wieder beschreibt Doctorow auf eine Weise, die einem das Wasser im Munde zusammenlaufen lässt, wie die Protagonist:innen sich verpflegen; dass sie das ausschließlich vegan tun, ist nicht der Erwähnung wert, sondern völlig selbstverständlich.
  • Auch wenn der Ich-Erzähler Brooks männlich ist, sind quasi alle anderen zentralen Figuren weiblich. Und Doctorow lässt keinen Zweifel, dass der Erzähler nicht mehr Held als die anderen, sondern eher ein naiver Lernender ist.
  • Natürlich geht es auch um Liebe in Zeiten des Klimawandels. Brooks verliebt sich in eine etwas ältere, erfahrende Klima-Aktivistin. Und man merkt, dass es Doctorow Spaß macht zu beweisen, dass Zustimmung (“Consent”) und leidenschaftliche Romantik kein Widerspruch sind. 

Insgesamt ist es aber vor allem die aktivistische Community, die gelebte Solidarität im Kampf gegen die Folgen der Erderhitzung sowie gegen die Anhänger des “Lost Cause” von “Make America Great Again”, die Doctorow als sinnstiftend zeichnet. Ist es schon Kitsch, wenn dieser Aktivismus am Ende Erfolge verbuchen kann? Vielleicht. Aber wäre es noch ‘Hopepunk’, wenn nicht?

English version of this review over at governance across borders.

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